Im Auftrag des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft wurde der aktuelle Ernährungsbericht der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) 2019 veröffentlicht. Der Ernährungsbericht zeigt, dass in deutschen Kliniken und Pflegeheimen über 30 % der PatientInnen und BewohnerInnen mangelernährt sind. Was genau Mangelernährung ist und welche Möglichkeiten die Pflege hat dem entgegenzuwirken, erfährst Du jetzt. [1]
Warum der Ernährungsstatus so wichtig ist
Ein optimaler Ernährungszustand hilft nicht nur bei einer schnelleren Genesung im Krankheitsfall, sondern verzögert auch die Entwicklung von Komplikationen, Pflegebedürftigkeit und Multimorbidität. Nicht nur, aber besonders im Alter, sind eine ausgewogene Ernährung und ein guter Ernährungszustand ein wichtiger Bestandteil zur Prävention und Gesundheitsförderung.
Im Krankenhaus zeigt sich vor allem in der Chirurgie, wie wichtig der Ernährungsstatus ist: Die postoperative Sterbe- und Komplikationsrate verändert sich bei verschiedenen Krankheitsbildern signifikant je nach Ernährungszustand. Die Mangelernährung gilt dabei als besonderer Risikofaktor für Folgekomplikationen, wie zum Beispiel Wundinfektionen. [2]
Festlegung des individuellen Ernährungsstatus
Um eine Mangelernährung frühzeitig zu erkennen, ist ein fundiertes Wissen über die Kriterien und Abgrenzungen der Formen der krankheitsspezifischen Mangelernährung notwendig. [3]
Krankheitsspezifische Mangelernährung
- Body-Mass-Index (BMI) < 18,5 kg/m² ODER
- Unbeabsichtigter Gewichtsverlust > 10 % in den letzten 3 – 6 Monaten ODER
- BMI < 20 kg/m² und unbeabsichtigter Gewichtsverlust > 5 % in den letzten 3 – 6 Monaten ODER
- Unabhängig von den genannten Kriterien eine Nüchternperiode von > 7 Tagen
Krankheitsspezifische Unterernährung
- Beschreibt eine chronische Unterernährung bei Personen, unter ärztlicher oder pflegerischer Betreuung. Zugrunde liegt hauptsächlich eine verminderte Energieaufnahme von weniger als 60 % des Nährstoffbedarfs.
- Die allgemeinen Kriterien entsprechen denen der krankheitsspezifischen Mangelernährung.
Kachexie
- Gewichtsverlust von ≥ 5 % in ≤ 12 Monaten bei Vorliegen einer Erkrankung
- Es müssen zusätzlich drei der folgenden Kriterien zustimmen:
- Verringerte Muskelkraft
- Erschöpfung
- Anorexie
- Niedriger Fettfreie-Masse-Index (FFMI); Dieser Index bestimmt den Anteil der fettfreien Muskelmasse
- Abnormale Biochemie (z. B. erhöhte Entzündungsparameter, erniedrigtes Hämoglobin und Serumalbumin)
Vorsicht beim BMI
Der Body-Mass-Index wurde in den USA für junge und gesunde Menschen entwickelt. Für die Abgrenzung verschiedener Formen des Ernährungsstatus ist er ein objektives Mittel. Vor allem für ältere Menschen ist der BMI als Index für Mangel- oder Unterernährung problematisch. Zum einen sind Größe und Gewicht nicht immer eindeutig festzustellen, zum anderen sagt der BMI nichts über das Verhältnis von Muskelmasse, Fett und Flüssigkeit im Körper aus, das unter anderem bei Ödemen verschoben ist und zu einem künstlich hohen BMI führen kann.
Zusätzliche Hinweise auf eine Mangel- oder Unterernährung – unabhängig vom BMI – sind zu weite Kleidung oder auch eine reduzierte Nahrungsaufnahme bei einem erhöhten Bedarf an Energie und Flüssigkeit, zum Beispiel bei größeren Wunden. [4]
Risikofaktoren Mangelernährung[5]
-
- Schwere akute oder chronische Erkrankungen
- Belastungen/Stress
- Ältere Menschen durch Kau- und Schluckprobleme, schlechtsitzende Prothesen
- Erhöhter Nährstoffbedarf (z. B. bei Krebserkrankungen oder größerer Wundheilungsstörung)
- Demenz
- Chronische Schmerzen
Screening- und Assessmentinstrumente
Ernährungsscreenings zählen zu den Methoden, die eine bestehende Mangelernährung oder ein vorhandenes Risiko schnell und zuverlässig identifizieren können. Sie finden bereits beim pflegerischen Anamnesegespräch Anwendung und zeigen an, ob ein Ernährungsrisiko vorliegt und wenn ja, in welcher Schwere.
Wichtig zu beachten ist, dass Assessmentinstrumente individuell angepasst werden müssen. Ernährungsbedingte Probleme sind je nach Krankheit und Symptomen unterschiedlich. Auch mehrgewichtige Menschen können mangelernährt sein.
Folgende Screening- und Assessmentinstrumente sind eine Auswahl an Tools, die Dir in der pflegerischen Praxis zur Verfügung stehen: [6]
- Nutrition-Risk-Screening: Es werden Gewicht, Größe, Krankheitsschwere und der Gewichtsverlust der letzten drei Monaten erfasst. Durch Punktewerte wird berechnet, ob ein Ernährungsrisiko vorliegt oder nicht. Die Anwendung erfolgt vor allem im Krankenhaus.
- Mini-Nutritional-Assessment (MNA): Vor allem in der Geriatrie angewendet, werden bei dem MNA in einem ersten Screening neben den Aspekten des Nutrition-Risk-Screenings zusätzlich die Mobilität und neuropsychologische Probleme wie Demenz oder Depression berücksichtigt. In dem folgenden Assessment werden Fragen nach Essgewohnheiten und Gesundheitszustand beantwortet. Zusätzlich werden der Oberarmumfang und der Wadenumfang gemessen.
- Malnutrition-Universal-Screening-Tool (MUST): Speziell für den Bereich der ambulanten Pflege werden die Aspekte BMI, ungeplanter Gewichtsverlust der letzten drei bis sechs Monate und akute Erkrankung in einem Punktesystem zu einem Gesamtrisiko für das Vorliegen einer Mangelernährung zusammengeführt.
PEMU – Der Expertenstandard in der aktualisierten Auflage schafft Klarheit:
Pflegende haben den meisten Kontakt mit PatientInnen und BewohnerInnen und daher einen großen Einfluss auf die Ernährungssituation der PflegeempfängerInnen. Der Expertenstandard zum Ernährungsmanagement in der Pflege in der ersten Aktualisierung geht genau auf diesen wichtigen Punkt ein. Das Wohlbefinden der pflegebedürftigen Personen sowie die Mahlzeitengestaltung werden von den Pflegenden beeinflusst. Pflegende sollten sich diesem Einfluss bewusst sein.
Professionell Pflegende wissen, dass es einen Unterschied zwischen Bedürfnis und Bedarf gibt, wobei das Bedürfnis der pflegebedürftigen Person vor dem Bedarf steht. Die Wahrung der Autonomie ist das höchste Gut der Pflege. Deswegen ist jeder Zwang tabu, gute Beratung jedoch essenziell.
Speziell zur pflegerischen Erfassung von Mangelernährung und deren Ursachen ist das im Expertenstandard „Ernährungsmanagement zur Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung” empfohlene Screening-Tool (PEMU) zu verwenden. Hierbei wird neben dem Risiko für Nahrungsmittel auch das Risiko für Flüssigkeitsmangel bestimmt. Im weiteren Assessment werden mögliche Ursachen für eine geringe Nahrungs- und/oder Flüssigkeitsaufnahme festgehalten sowie eine Auswahl an Maßnahmen als Orientierungs- und Prozessplanungshilfe vorgestellt.
Screenings zum Ernährungszustand sollten immer im Rahmen der ersten pflegerischen Anamnese durchgeführt werden und danach alle drei Monate beziehungsweise umgehend bei Ereignissen, die sich negativ auf den Ernährungszustand auswirken können – zum Beispiel Infektionskrankheiten oder offene Wunden.
Die Erfassung der Ess- und Trinkmenge durch ein Ess- und Trinkprotokoll wird bei Personen mit auffällig geringer Ess- und Trinkmenge an sieben aufeinander folgenden Tagen durchgeführt. Um Auswirkungen eingeleiteter Pflegemaßnahmen zu überprüfen oder eine angestrebte Erhöhung der Verzehrmenge zu kontrollieren, sollte das Ess- und Trinkprotokoll fortgeführt werden. [7]
Fazit: Die zentrale Rolle der Pflegenden
In einer ganzheitlichen Versorgung von pflegebedürftigen Menschen kommt dem Ernährungszustand und der Vermeidung von krankheitsspezifischer Mangelernährung eine hohe Priorität zu. Pflegende haben dabei die Rolle einer beratenden Instanz inne. Sie führen nicht nur Screenings und vertiefende Assessments durch, sondern beraten zu pflegespezifischen Problemen, die im Zusammenhang mit Ernährung stehen.
Innerhalb des Pflegeprozesses legen Pflegende individuell abgestimmte Pflegemaßnahmen fest und kontrollieren sowie dokumentieren deren Erfolg. Gegebenenfalls werden Pflegemaßnahmen an den individuellen Bedarf angepasst. In einem ausführlichen Anamnesegespräch und durch professionelle Beobachtung erkennen Pflegende Pflegeprobleme, zum Beispiel eine schlechtsitzende Prothese, durch welche Ernährungsprobleme entstehen können. Nicht zuletzt werden Ressourcen der PflegeempfängerInnen gefördert, zum Beispiel erhalten diese Unterstützung bei der Mobilisation zu den Mahlzeiten.
Eine ausführliche Anamnese ist die Grundlage einer professionellen Pflegeprozessplanung, die durch Screening- und Assessmentinstrumente sinnvoll ergänzt wird.