Im Pflegealltag gibt es eine Vielzahl an Grenzsituationen, bei denen schnelles Handeln gefragt ist. Doch wer entscheidet, was in bestimmten Momenten richtiges Handeln ist? Wie die Pflegeethik Dir in unklaren Situationen helfen kann, erfährst Du jetzt.
Warum überhaupt Pflegeethik?
Bestimmt kennst Du diese Situation: Ein Patient mit Demenz soll seine Morgenmedikation erhalten, wehrt sich aber gegen die Maßnahme. In dieser Situation fragst Du Dich: „Was soll ich jetzt tun?“ Durch den engen Kontakt zu anderen Menschen sowie deren Bedürfnissen kann es in Verbindung mit dem immer komplexer werdenden Pflegealltag häufig zu Missverständnissen und ethischen Dilemmata kommen. Ethisches Handeln in der Pflege bedeutet, dass Du Dein Handeln an universalen, moralischen Werten orientierst. Die Pflegeethik fungiert als Wegweiser, um Dich als Pflegekraft in der Entscheidungsfindung zu unterstützen. [1]
Ethische Prinzipien in der Pflege
Es gibt vier ethische Prinzipien, die von den Medizinethikern Beauchamp und Childress formuliert wurden und die Basis der aktuellen Pflegeethik bilden. Die Prinzipien stehen dabei nicht allein für sich, sondern im Zusammenhang miteinander. Sie werden miteinander verknüpft. Die vier Prinzipien sind folgende[2]:
Das Autonomie-Prinzip
Dieses Prinzip sagt aus, dass jeder Mensch ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben hat. Ein Beispiel hierfür ist das Einverständnis des Patienten bzw. der Patientin für bestimmte Pflegehandlungen, welches Du Dir vor der Maßnahme einholst.
Das Fürsorge-Prinzip
Hierbei werden die therapeutischen Maßnahmen am Wohlergehen der PflegeempfängerInnen ausgerichtet. Du handelst im Interesse des Pflegeempfängers. Im Vordergrund steht vor allem die Beratung und Förderung.
Das Prinzip der Schadensvermeidung (oder das Prinzip der Non-Malefizienz)
Hier geht es darum, dem Pflegeempfänger keinen Schaden zuzufügen. Unangemessene negative Effekte sollen vermieden werden, wobei die Perspektive des Pflegeempfängers entscheidend ist. Eine Mobilisation gegen den Willen des Pflegeempfängers stellt eine Verletzung der ethischen Prinzipien dar und kann zu einem Sturzereignis führen und somit der Person Schaden zufügen.
Das Prinzip der Gerechtigkeit
Wir sind alle Menschen und möchten fair behandelt werden. Deshalb haben Diskriminierung und Benachteiligung von Personen in der Pflege keinen Platz. Als professionelle Pflegefachkraft achtest Du auf eine professionelle und empathische Durchführung der Pflegemaßnahmen gleichermaßen bei allen Pflegeempfängern, auch wenn PatientIn aus Zimmer 5 netter ist als PatientIn aus Zimmer 6. Das Recht auf Pflege gilt unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Religion oder sozialem Status.
Ethische Konflikte
Ethische Konflikte entstehen, wenn die vier ethischen Prinzipien in der Pflege nicht einheitlich vereinbar sind. Und dadurch entstehen Spannungen. Es gibt eine Vielzahl an Situationen in der Pflege, in denen unklar ist, ob alle ethischen Prinzipien eingehalten werden. Ein Beispiel hierfür ist der Umgang mit dementen PatientInnen, wenn diese sich nur noch eingeschränkt äußern können. In solchen Momenten gibt es kein Richtig oder Falsch, das allgemeingültig gilt.
Ethische Herausforderungen gehören zum Pflegealltag dazu. Um die vier ethischen Prinzipien in Einklang mit den eigenen Moral- und Wertvorstellungen zu bringen und das Wohlergehen des Pflegeempfängers nicht aus den Augen zu verlieren, bedarf es mehr als Intuition. Ethische Problemlösungsstrategien lassen sich nicht von heute auf morgen lernen. Mit fortschreitender Erfahrung lassen sich Situationen besser einschätzen. Sprich mit Deinen KollegInnen, wenn eine Entscheidung in einer Situation Dich überfordert. [3]
Orientierung durch den ICN-Ethikkodex
Der ICN-Ethikkodex stellt seit 1953 einen für die Berufsgruppe der Pflege wesentlichen Bezugspunkt dar. Er soll dabei nicht als Verhaltenskodex verstanden werden, sondern ethische Leitlinien zur Orientierung im Pflegealltag bieten. Der Ethikkodex wird regelmäßig aktualisiert und gliedert sich in vier Grundelemente, die den Standard ethischer Verhaltensweisen beschreiben. Diese vier Grundelemente sind[4]:
Pflegende und ihre Mitmenschen
Pflegende haben eine grundlegende berufliche Verantwortung gegenüber dem pflegebedürftigen Menschen und bringen diesem Respekt entgegen. Das gilt von der Entscheidung des Patienten bzw. der Patientin für oder gegen Pflegemaßnahmen bis zur Gleichbehandlung aller Patientengruppen.
Pflegende und die Berufsausübung
Die Pflegenden sind auch sich selbst gegenüber Verantwortung schuldig. So soll berufliches Handeln reflektiert und die eigene Gesundheit gewahrt werden.
Pflegende und Profession
Innerhalb des Berufsverbandes und der Profession Pflege werden wissenschaftliche Grundlagen weiterentwickelt sowie gerechte soziale und wirtschaftliche Arbeitsbedingungen geschaffen.
Pflegende und ihre Kollegen
Gute Zusammenarbeit und Teamzusammenhalt sind wichtig. Gefährdet eine andere Pflegekraft jedoch andere PatientInnen oder Mitarbeitende, muss eingegriffen werden.
Wie genau löse ich jetzt ethische Probleme?
Wie Du Dir vielleicht schon gedacht hast, gibt es keine Check-Liste für ethische Problemlösungsstrategien. Ethische Dilemmata lassen sich häufig nicht richtig oder falsch lösen. Es gibt aber einige Aspekte, die Dich bei einer begründeten Entscheidungsfindung unterstützen. [5] Führe, wenn möglich ein Gespräch mit der betroffenen Person und/oder ihren Angehörigen. Dies sollte im interdisziplinären Team abgesprochen werden, eventuell sollte ärztliches Personal bei dem Gespräch dabei sein.
Je nach Situation liegt der Schwerpunkt auf anderen Aspekten. Ein potenzieller Leitfaden an Gesprächsinhalten ist folgender:
- Festlegung des Therapieziels (medizinisch und/oder pflegerisch): Beispiele sind die Verbesserung der Lebensqualität oder Schmerzfreiheit.
- Aufklärung und Kommunikation: Das behandelnde Team kann in einem Gespräch mit der betroffenen Person und/oder den Angehörigen erfahren, welche Werte, Vorstellungen oder Wünsche die betroffene Person hat und wie Entscheidungen im Sinne der betroffenen Person getroffen werden können.
- Wahrung der ethischen Prinzipien: Achte darauf, dass die Autonomie der betroffenen Person nicht untergraben wird. Auch die Wahrung des Wohlergehens und der Schadensvermeidung bieten Dir Orientierungshilfen im Gespräch und darüber hinaus.
- Dokumentation: Gespräche, die über das weitere therapeutische Vorgehen entscheiden, sollten umfassend dokumentiert werden, damit jede Person im interdisziplinären Team über den aktuellen Stand informiert ist.
Pflegeethik als Entscheidungshilfe
Bleiben wir bei dem Fallbeispiel vom Anfang, ist eine Entscheidung darüber, ob der Patient mit Demenz seine Morgenmedikation einnimmt oder nicht keine Entscheidung von fünf Minuten. Vor allem bei häufiger oder regelmäßiger Verweigerung der Medikation ist ein Gespräch zwischen dem behandelnden Team, der betroffenen Person und den Angehörigen nötig. Ein Vorgespräch im interdisziplinären Team kann sinnvoll sein, um Möglichkeiten der weiteren Therapie zu besprechen. Insbesondere sollte das Therapieziel klar definiert werden, um zu sehen, ob die Medikation nötig ist, oder zum Beispiel durch transdermale Medikamente ersetzt werden kann. Orientiere Dich an den vier ethischen Prinzipien: Wahre die Autonomie der betroffenen Person, handle gerecht und nach ihrem Wohlergehen und vermeide Schaden.