Bewegung bedeutet Freiheit. Bei pflegebedürftigen Menschen ist die Mobilität jedoch oft eingeschränkt. Schon bei kleinen Lageveränderungen sind viele auf die Hilfe der Pflegenden angewiesen – was auch sie körperlich belastet. Welche Rolle dabei die Kinästhetik in der Pflege spielt und warum sie Dir hilft, rückenschonender zu arbeiten, erfährst Du hier.
Kinästhetik in der Pflege kurz definiert
Der Begriff Kinästhetik bedeutet „Lehre der Bewegungsempfindung“ und setzt sich aus den griechischen Wörtern „kiniesis“ = „Bewegung“ und „aisthesis“ = „Empfindung“ zusammen. [1] Das Konzept der Bewegungslehre wurde Anfang der 70er Jahre von dem US-amerikanischen Ehepaar Frank White Hatch und Linda Sue Maietta entwickelt und vor allem in der Gesundheits- und Krankenpflege angewendet. [2] Das Prinzip basiert auf der unbewussten Steuerung unserer Bewegungen. Genau genommen geht es bei der kinästhetischen Mobilisation darum, die PatientInnen für die Wahrnehmung ihrer Bewegungen zu sensibilisieren und ihre bewussten Empfindungen zu steigern. [3]
Die 4 Ziele der Kinästhetik in der Pflege
- Hilfe zur Selbsthilfe: Mit Kinästhetik in der Pflege hilfst Du PatientInnen, die Kontrolle über ihren Bewegungsapparat zu verbessern und dadurch länger mobil und unabhängig zu bleiben.
- Durch die Anwendung der kinästhetischen Prinzipien unterstützt Du sie zudem aktiv bei der Verbesserung ihrer Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit.
- Du motivierst sie zu mehr Bewegung und förderst so ihre Eigenaktivität.
- Die aktive Mitarbeit der PatientInnen entlastet die Pflegenden körperlich und fördert so auch Deine Gesundheit. [4]
Die 6 Konzepte der Kinästhetik in der Pflege
In der Bewegungslehre greifen 6 Konzepte ineinander. Sie beruhen auf dem Grundgedanken, durch eine sanfte, vertrauensvolle Kommunikation die Mobilität und damit die Unabhängigkeit Deiner PatientInnen so lange wie möglich zu erhalten. Durch die Einbeziehung ihrer Kraftressourcen wird gleichzeitig Deine eigene körperliche Belastung minimiert. Das heißt: Als Pflegekraft machst Du die schwere Arbeit nicht mehr allein. Eine klare Win-win-Stuation. [5]
- Das Konzept Interaktion: Unterstütze so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Bei der gemeinsamen Bewegungsausführung kommt es vor allem auf dein Fingerspitzengefühl an, inwieweit Du Deinen PatientInnen assistierst und in ihre Bewegung eingreifst. Denn je weniger Du das tust, desto leichter können sie Bewegungsabläufe neu erlernen.
- Das Konzept Funktionale Anatomie: Die Idee basiert auf einem der Grundprinzipien der Kinästhetik in der Pflege und lautet: Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen! In der Praxis bedeutet dies, Körperteile wie Kopf, Becken, Arme und Beine in ihrer Bewegung zu unterstützen. Die Zwischenräume wie Hals, Taille und Hüftgelenke sollten dabei nicht berührt werden, da dies schnell zu Verkrampfungen und Unbeweglichkeit führt.
- Das Konzept Menschliche Bewegung: Dieses Konzept innerhalb der Kinästhetik in der Pflege befasst sich mit unterstützenden Bewegungsmustern, die von PatientInnen erlernt und angewendet werden können, um den Pflegenden alltägliche Tätigkeiten wie das Umlagern zu erleichtern.
- Das Konzept Anstrengung: Wie viel Kraft hat die pflegebedürftige Person und wie gut kann sie ihren Körper koordinieren? Durch aktives Ziehen und Drücken mit den Extremitäten findest Du es heraus. Außerdem motivierst Du sie zur Mitarbeit und sparst selbst Energie.
- Das Konzept Menschliche Funktion: Hier geht es darum, inwieweit die PatientInnen in der Lage sind, verschiedene Positionen einzunehmen und diese ohne große Anstrengung durch Gewichtsverlagerung zu halten. Die Kinästhetik unterscheidet dabei 7 Grundpositionen (z. B. Rückenlage, Sitzen, Stehen auf einem Bein), die auch als einfache Funktionen bezeichnet werden. Ergänzend hierzu gibt es die komplexen Funktionen, die Fortbewegungen und Handlungsbewegungen beinhalten.
- Konzept der Umgebungsgestaltung: Möbel, spezielle Pflegeutensilien, Hilfsmittel – um nach den Grundprinzipien der Kinästhetik in der Pflege arbeiten zu können, müssen natürlich auch die Rahmenbedingungen stimmen.
Kinästhetische Mobilisation
Eine Alltagssituation ist die Mobilisation des Pflegebedürftigen an der Bettkante. Ohne die Anwendung kinästhetischer Grundprinzipien ist dieser Vorgang für die Pflegenden oft mit erheblichem Kraftaufwand verbunden. Die Passivität der PatientInnen, die durch die fehlende Einbeziehung in den Bewegungsprozess entsteht, führt bei ihnen gleichzeitig zu einem Kontrollverlust. Du kannst diese schwierige Aufgabe kräfteschonend lösen, indem Du sie aktiv in den Bewegungsablauf einbeziehst.
Übungsbeispiel Kinästhetik: Von der Rückenlage in die Sitzposition
Bei der sogenannten „En-bloc-Mobilisation“ soll die PatientIn das Drehen im Bett, das Hinsetzen und das Aufstehen möglichst ohne Flexions- und Rotationsbewegungen durchführen. Die Schritte im Einzelnen[6]:
- Um in die Seitenlage zu gelangen, wird das Körpergewicht der PatientIn von der Mitte zu einer Seite verlagert. Durch richtungsweisende Berührungen kannst Du sie dabei unterstützen.
- Anschließend werden die Beine, beginnend mit dem unteren, nacheinander über die Bettkante geschoben. Eine Hand wird unter den Brustkorb gelegt.
- Während die Beine der PatientIn nach unten über die Bettkante geschoben werden, drückst Du mit Deinem eigenen Körper gegen den Gewichtswiderstand der PatientIn, sodass ihr Oberkörper zum Sitzen aufgerichtet werden kann.
Kinästhetik in der Pflege erlernen lohnt sich!
Hilflosigkeit, Überforderung, Rückenschmerzen: Kinästhetik in der Pflege wirkt dem Negativkreislauf entgegen und sorgt für Entlastung auf beiden Seiten. Denn die Bewegungslehre berücksichtigt sowohl deine als auch die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen. Setzt Du das Konzept der Kinästhetik in der Pflege also richtig ein, erleichterst Du Deinen PatientInnen den Weg in die Unabhängigkeit – und förderst gleichzeitig Deine eigene Gesundheit. Deshalb ist es wichtig, dass Du die Grundlagen der Kinästhetik lernst. Und wo? Kinästhetik wird bundesweit in Kliniken und verschiedenen Gesundheitseinrichtungen gelehrt. Über Kurse und Kosten informieren wir Dich gerne.
Dass die Mobilisierung von pflegebedürftigen Menschen ein wesentliches Element der physischen und psychischen Gesundheitsförderung ist, zeigt auch der 2020 überarbeitete Expertenstandard „Erhaltung und Förderung der Mobilität in der Pflege“. Auf unserem Blog erfährst Du übrigens mehr über Standards und Leitlinien in der Pflege .[7]